Die astrologische Deutung der beiden Gründungsdaten

von Christian Frei

Die Situation am Palmsonntag, dem 1. April 1263 bei Sonnenaufgang um 05 Uhr 43’ 30’’

Am 1. April 1263 stehen die klassischen Planeten relativ nahe beieinander. Eigentlich ist das Bild ja sehr schön, das sich bietet: Jupiter, Venus und Merkur waren sich nahe und wohl als Morgensterne noch sichtbar. Zumindest etwa eine Dreiviertelstunde vor Sonnenaufgang müsste man sie gesehen haben, falls der Himmel nicht schon zu hell war. Nun, bei Sonnenaufgang, sind sie im 12. Haus, in der «Vorratskammer» und wollen heraus. Im ersten Haus ist Saturn, der bald als «strenger Formgeber» erscheinen wird. Gegenüber der Venus ist der Mond. Die Konstellation steht als «Weide» sowohl für Nahrung wie für menschliche Kontakte. Der Mars steht im zweiten Haus: die Substanz ist in Bewegung, die Gemeinschaft «erregt». 

Insgesamt ist die Ausrichtung evident: Strenge Form aus dem Saturn bei dieser eher seltenen Konstellation, das könnte tatsächlich einer astrologisch inspirierten Planung entsprechen. 

Sichtbar sind die Planeten, die über der Horizontlinie AC-DC angeordnet sind. Uranus, Neptun und Pluto sind zur Gründungszeit noch nicht entdeckt.

Datum und Zeit

Venus

Höhenwinkel

Sonne

Jupiter

Uranus

Merkur

Mars

Saturn

Azimut

Die Planetenkonstellation am 1. April 1263 bei 84° Azimut und einem Höhenwinkel von 0.7°.

Die Situation am Ostersonntag, dem 31. März 1269 bei Sonnenaufgang um 05 Uhr 44’ 30’’

Am 31. März 1269 bietet sich das Bild wesentlich anders: Venus ist zwar wieder klar Morgenstern, und besser sichtbar; sie hat fast den Maximalabstand zur Sonne. Jupiter indessen fehlt und steht Merkur gegenüber, Saturn steht als Herrscher von 10 in 4. Das ist zwar sehr harmonisch, aber der Schwung, das Impulshafte und trotzdem Strukturierende des Horoskops vom 1. April 1263 fehlt. Die problematische Uranus-Neptun-Konstellation spricht zusammen mit den anderen Indikatoren kaum für einen Gründungsvorgang, auch wenn indische Astrologen, wegen der vorteilhaften Stellung des Mondes zur Sonne, wohl eher diese Variante für eine Gründung genommen hätten.

Sichtbar sind die Planeten, die über der Horizontlinie AC-DC angeordnet sind. Uranus, Neptun und Pluto sind zur Gründungszeit noch nicht entdeckt.

Datum und Zeit

Mond

Venus

Höhenwinkel

Sonne

Merkur

Uranus

Azimut

Saturn

Die Planetenkonstellation am 31. März 1269 bei 84° Azimut und einem Höhenwinkel von 0.7°.

Wenn also bei der Gründung der Stadt Neunkirch sowohl die Gestalt der Stadt (das Rechteck), die Ausrichtung auf den Sonnenaufgangspunkt und die Wahl eines christlichen Festtags eine Rolle gespielt haben, so ist anzunehmen, dass der 1. April 1263 rein astrologisch gesehen, dieser Voraussetzung eher entspricht. Das Rechteck ist auch hier zu erkennen: Die Sonne legt den Ostpunkt fest (leichte Neigung nach Nordosten ca. 10°), die Ausrichtungspunkte im Osten wären der Jupiter im OSO und der Saturn im ONO, sowie der Mond im WNW. 

Was der Gründer damals nicht wissen konnte – Uranus, Neptun und Pluto waren noch nicht entdeckt: Der Neptun steht im Quadrat zu Saturn, was eine gewisse Isolation und Zurückhaltung bedeutet, auch eine durchaus angenehme Ziellosigkeit in der Entwicklung. Und der Pluto steht im Quadrat zum Jupiter, sogar ziemlich genau: daraus können sich Widersprüche ergeben zwischen der Vision des Stadtgründers und der Durchführung des Gründungsprozesses. Oder es entstehen ideologische Kämpfe innerhalb der Gemeinschaft der Stadtbewohner (Venus und Jupiter sind auch betroffen).

Insgesamt spiegelt diese Konstellation einerseits ein eher problematisches Zusammenwachsen des Gemeinschaftskörpers in der Stadt und erschwerte gemeinschaftliche Prozesse, aber auch eine schwierige Anbindung an die Umgebung und deren Machtzentren (Konkurrenzverhältnisse zu Nachbargemeinden oder Anbindung an die Stadt Schaffhausen). Das würde auch der Tatsache entsprechen, dass Neunkirch ein relativ abgelegenes «Bijou» geblieben ist und sich nicht zu einer grossen Ortschaft oder Stadt entwickelt hat (Saturn-Neptun). Und der Tatsache, dass das Gründungskonzept – das rigide Rechteck – sich bis heute nicht verändert hat. Es hat sich, vielleicht gerade durch diese unbewusst noch verstärkte Rigidität und Strenge des Konzepts, erst recht als das erhalten können, was es ist! 



Das Fazit von Christian Frei: «So neige ich relativ klar zu 1263 – aber hundertprozentig sicher ist man in solchen Erwägungen nie wirklich.»

Im 13. Jahrhundert war astrologisches Grundwissen weit verbreitet und von der Inquisition noch kaum verfolgt. Bauern kannten den Himmel wohl besser als das Alphabet, da genaue Kenntnisse des Mondlaufes für eine erfolgreiche Landwirtschaft und Holzverarbeitung entscheidend waren. Heute wissen wir noch einen Bruchteil dessen, was die Baumeister der Gotik und Renaissance wussten. Sowohl bautechnisch als auch bezogen auf das Baumaterial und seine qualitätswahrende Gewinnung.

Bewahrt und weiterbearbeitet wurde das Wissen zwischenzeitlich (etwa 500-900) von den frühislamischen Gelehrten und dann von Klosterfrauen, die im 11. und 12. Jahrhundert erwiesenermassen zahlreiche Enzyklopädien anlegten und das fast verschollene Wissen wieder zusammentrugen – von den Erkenntnissen der alten Griechen und Römer bis hin zu den arabischen Philosophen.

Bis ins 17. Jahrhundert waren Astronomie und Astrologie miteinander verknüpft und verbreitetes Volkswissen. Nach der Aufklärung trennten sie sich, und altes Wissen ging verloren. Auch dasjenige, das wir heute ökologisch nennen, wenn wir uns aus der Krise retten wollen. Die Wissenschaftselite verdrängte das Volkswissen, ein Prozess, der auch die Macht der Kirche schmälerte. 

Wieweit die Machtträger im 13. Jahrhundert die Astrologie für sich nutzten, ist wenig bekannt, vermutlich aber eher häufiger als heutzutage, denn es ist historisch belegt, dass die Astrologie von philosophisch veranlagten Machthabern genutzt wurde. Dabei war der Astrologe oft zum Lavieren gezwungen, denn es konnte ihm den Kopf kosten, wenn er allzu düster weissagte. Im Orient bzw. in den fernöstlichen oder präkolumbianischen Reichen war die Astrologie Teil des kulturellen und alltäglichen Lebens.

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